Im Gespräch mit Autor Sven Haupt

Im Gespräch mit Sven Haupt:

 

Mit „Stille zwischen den Sternen“ ist gerade dein neuester Roman im Eridanus Verlag erschienen. Vielleicht magst du uns als erstes einmal erzählen, worum es darin geht?

Das Buch erzählt die Geschichte zweier Frauen, der künstlichen Intelligenz Jane und der Pilotin Hien Otis, welche im Rahmen eines militärischen Forschungsprogramms zum ersten lebenden Raumschiff der Menschheit wird. Im Rahmen ihrer wichtigsten Mission suchen die beiden nach einer Raumstation, welche spurlos verschwunden ist. Auf dem Weg treffen beide Protagonisten auf die Grenzen dessen, was es bedeutet, menschlich zu sein, denn beide Frauen sind auch innerlich auf der Suche. Jane versucht alles, um zu werden wie ein Mensch, während Hien versucht, ihre Menschlichkeit so schnell wie möglich aufzugeben.

Sowohl dieser Roman als auch „Die Sprache der Blumen“, der zuvor erschienen ist, beginnt im Grunde als typische Genre-Erzählung, wandelt sich aber im Laufe des Buches zum Entwicklungsroman. Wir finden auch jede Menge philosophische Gedanken darin. Pfeifst du auf Genre-Grenzen?

Brauchen wir die Genre-Grenzen denn wirklich? Wenn ich mit meinem Sohn Fortnite spiele, erlebe ich pausenlos, wie er mit traumtänzerischer Selbstverständlichkeit fantastische Motive mit SciFi-Motiven mischt. Wenn wir dabei über die innere Entwicklung von Peter Parker als Spiderman diskutieren und welche Bedeutung das Motiv des ‚Monsters in uns‘ für seinen Widersacher Venom hat und wie sich das Leben mit einem Symbionten auf die Beziehung zu einer Freundin auswirkt, habe ich nie den Eindruck, dass seine Generation sich für diese eher willkürlichen Grenzen noch interessiert. Ich finde strikte Genre-Grenzen fast so ermüdend wie das Dogma, dass Literaturpreise nicht an Fantasy und SciFi verliehen werden, weil es keine ‚richtige‘ Literatur ist.

Du hast für deine beiden zuletzt erschienenen Bücher jeweils ungewöhnliche Frauen als Protagonistinnen ausgewählt. Das ist doch sicher kein Zufall, oder?

Ich wünschte, ich würde irgendwas wählen oder zumindest gefragt werden. Leider habe ich nicht so schrecklich viel Einfluss auf meine Geschichten. Ich bekomme Bilder von Inhalten, die erzählt werden wollen, und wenn ich die Personen adressiere und um ihre Geschichte bitte, stellt sich immer wieder heraus, dass es Frauen sind. Ich bin selbst fortwährend überrascht davon und frage mich, warum das so sein könnte. Vielleicht liegt es daran, dass mich besonders die Geschichten faszinieren, welche große innere Tiefe erreichen wollen und eine komplexe emotionale Vielschichtigkeit präsentieren. Schlachten, Gewalt und explodierende Raumschiffe langweilen mich zu Tränen und sind mir beim Erzählen eher im Weg. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich ohne Vater groß geworden bin und nur von meiner Mutter erzogen wurde, weswegen mir die meisten der traditionell als klassisch männlich wahrgenommenen Interessen einfach fehlen. Es würde mein Leben definitiv einfacher machen, wenn ich sie hätte, denn eine meiner größten Ängste beim Schreiben ist, dass ich die Erlebnisse und Innenwelten meiner Protagonistinnen nicht adäquat und respektvoll genug in Worte fassen kann. Ergibt sich aus diesen Umständen eine Notwendigkeit für weibliche Protagonisten? Natürlich nicht. Besonders dann nicht, wenn die handelnden Personen eine künstliche Intelligenz und ein Raumschiff sind. Oder wie im Buch davor: Eine Pflanze. Letztlich leidet die mangelnde Charaktervielfalt des Genres unter ähnlichen Stereotypen wie das Genre selbst. Ich habe schon länger den Verdacht, dass die Geschlechter-Grenzen, ähnlich wie die Genre-Grenzen, schlicht aufgelöst gehören, aber sowas sagt sich immer leichter, als es sich dann auch umsetzen lässt, immerhin muss man die Geschichte seiner Protagonisten auch glaubhaft erzählen. Dafür muss ich erst noch eine ganze Ecke mehr lernen und besser werden, aber ich habe da so meine Ideen für die Zukunft.

„Stille zwischen den Sternen“ stellt indirekt eine konkrete Frage an den Lesenden: Was macht das Menschsein aus? Hast du für dich selbst auf diese Frage eine Antwort?

Das Buch nimmt zum Ende hin eine Wendung zum religiösen, die ich selbst nicht habe kommen sehen. Ich bin nicht einmal sicher, ob ich sie verstehe. Ich hatte die Geschichte soweit zu verstehen geglaubt, dass einem Menschen auf der Suche nach sich selbst ein märchenhafter technischer Fortschritt nicht nur nicht helfen wird, sondern die Suche an sich nur erschwert.
Jede Form der Findung ist letztlich eine spirituelle Entwicklung, also eine Reise, welche weder im Äußeren stattfindet noch von Geschwindigkeit profitiert. Eine Reise nach innen mit einem Raumschiff beschleunigen zu wollen, wird uns deswegen mehr Probleme machen als lösen. Selbst dann, wenn das Ziel der Selbstfindung in einer neuen Spezies liegt, welche durch die Technik erst ermöglicht wird und vollkommen im Transhumanen angesiedelt ist. Die spirituellen und religiösen Implikationen machen mich immer noch leicht schwindelig.

Für „Die Sprache der Blumen“ hast du gerade erst den Deutschen Science Fiction Preis abgeräumt. Ein wahnsinniger Erfolg! Wie ordnest du diesen Preis für dich ein? Was bedeutet der Gewinn für dich?

Ich bin immer noch sprachlos. Nicht nur hätte ich nicht einmal mit einer Nominierung gerechnet, ich hätte sogar gutes Geld gegen mich gewettet. Immerhin habe ich alles mir Mögliche getan, um zu verhindern, dass man mich in der Szene auch nur bemerken kann. Ich bin nicht auf sozialen Medien aktiv und mein Buch positioniert sich mit Titel und Cover bewusst weit entfernt von dem, was man als klassische Science-Fiction kennt. Darüber hinaus stehe ich als Autor bevorzugt hinter meinen Büchern, während der Trend heutzutage sehr stark dahin geht, den Autor auch gleich seine eigene Marketing-Abteilung sein zu lassen, welche die meiste Zeit vor dem Buch verbringt.
Ich wusste immer schon , dass ich diese Anforderungen an den Autor von heute niemals werde bedienen können. Was ich jedoch wusste, war, dass ich neue Wege gehen muss. Dass ich Genre-Grenzen auflösen will und neue Fragen stellen möchte, die nicht im hundertmal abgekochten Standart-Repertoire der SciFi zu finden sind. Ich nehme diese Auszeichnung mal als Hinweis, dass meine Grundgedanken so schlecht nicht gewesen sein können und mache in gleicher Weise weiter. Immerhin habe ich noch nicht mal richtig angefangen.

Wie gehst du mit Kritik um? Lässt du diese in deine nachfolgende Arbeit einfließen?

Das Schlimmste, was einem Autor passieren kann, ist das jeder ihn ausnahmslos und rundherum großartig findet. Man sieht das sehr schön in den Sozialen-Medien-Blasen junger Erstautoren. Wenn jeder jeden und alles wundervoll findet, entwickelt sich der Autor genau nirgendwo hin. Dann lieber kontrovers sein. Ich schreibe mir Kritikpunkte auf und sobald mein verletztes Ego aufhört zu toben (das dauert manchmal ein bisschen), versuche ich zu überlegen, wie diese Person mit ihrem Einwand recht haben könnte. Es ist übel anstrengend, aber man kann sich nicht entwickeln, wenn man nur aus seiner Komfortzone heraus schreibt und nicht an den Dingen arbeitet, welche einem überhaupt nicht liegen. Ich zum Beispiel tue mich mit Actionszenen entsetzlich schwer.

Immer wieder liest man, dass Sciencefiction-Geschichten für Autorinnen und Autoren schwierig zu vermarkten sind, dass zudem die Szene sehr kritisch und die Erfolgschancen insgesamt äußerst gering sind. Woran mag das liegen? Und siehst du es ebenso, ich sage mal pessimistisch?

Das ist eine sehr gute Frage, über die ich schon seit vielen Jahren nachdenke. Hier ist meine Arbeitsthese: Es gab einmal das goldene Zeitalter der Sciencefiction. Damals herrschte Euphorie und Goldgräberstimmung im Genre. Noch heute feiern wir die Autoren dieser Jahrzehnte als die großen Visionäre ihrer Zeit. Das ist es, was wir wieder brauchen und was ich auch als Leser heute kaum noch finde. Visionen. Die Ideen, welche das Genre neu definieren. Solche Ideen können wir nicht mehr entlang der Straße mit den immer gleichen klassischen Motiven finden. Dafür sind die Leser heute auch viel zu gut informiert.
Vor sechzig Jahren musste man seinem Leser noch ein Kapitel lang erklären, was eine Raumstation ist und warum sie nicht vom Himmel fällt. Heute kann man einen jungen Leser mit Zeitreisen durch Wurmlöcher in alternative Universen kaum noch hinter dem Handy hervorholen. Wie brauchen also  Ideen, die noch nie da waren. Die Ideen, welche tatsächlich zu neuen Grenzen aufbrechen. Der brillante Autor Jeff VanderMeer hat vor einiger Zeit in einem Interview gesagt, dass es Surrealismus und Fantasy bedarf, welche die neue Sciencefiction durchdringen müssen, um über diese neuen Themen nachzudenken. Dem würde ich mich voll anschließen. Deswegen versuche ich gerne meine Bücher an der Grenze zwischen Fantasy und Science-Fiction anzusiedeln.

Was braucht eine gute Sciencefiction-Geschichte – nicht um erfolgreich zu sein, sondern damit du ganz persönlich sie magst?

Ich lebe für die guten Ideen. Action, Kämpfe, Gewalt und Horror schrecken mich ab. Ich will wissen: Hat der Autor einen Weg gefunden, den noch nie jemand vor ihm gegangen ist? Hat er eine Vision, die meine etablierte Sicht der Dinge erschüttern kann? Aus diesem Grund bin ich bis heute ein großer Fan von Isaac Asimov. Seine Kurzgeschichten sind meiner Meinung nach noch immer unerreicht. Was ich an ihm immer am meisten geschätzt habe und weswegen ich ihn noch immer zu meinen großen Vorbildern zähle, war seine Fähigkeit, ausschließlich über seine Ideen zu beeindrucken. Er brauchte keine Gewalt in seinen Werken. Er bedurfte keiner Schlachten, Horror oder Sex, damit seine Texte gelesen wurden. Er konnte Träume einfangen und Menschen ein Leben lang inspirieren.

Gibt es aktuell eine bestimmte SF-Autorin oder einen SF-Autor, den du gern liest und weiterempfehlen würdest?

Ann Leckie's erster Roman ‚Ancillary Justice‘ hat 2013 hochverdient jeden Preis gewonnen, den ein Sciencefiction-Buch bekommen kann. Es hat ein klassisches SciFi-Setting, erzählt aus einer distinkt neuen und frischen Perspektive und ich finde es großartig.
Die Geschichte, die mich in den letzten Jahren von ihrer Vision her am meisten beeindruckt hat, war ‚The story of your life‘ von Ted Chiang. Sie war außerdem die literarische Grundlage für den Film ‚Arrival‘. Ich musste sie zweimal lesen, bevor ich überhaupt verstanden habe, was der Autor strukturell geleistet hat, und mir ist noch immer nicht klar, wie genau er das geschafft hat.
Wer es anspruchsvoller mag und meinen ganz persönlichen Hardcore-SciFi Geheimtipp haben will, dem würde ich einen Roman ans Herz legen, dessen brillante Visionen mich nach dreimal lesen immer noch vom Stuhl werfen, nämlich ‚Blindsight‘ von Peter Watts. Dieser Roman hätte 2007 den Hugo gewinnen müssen, denn Watts ist ein Genie! (Ich bin immer noch sauer).

Zum Abschluss: Welche Frage möchtest du als Autor endlich mal gestellt bekommen? Und wie lautet deine Antwort?

In ausnahmslos allen meiner fünf Bücher finden sich Referenzen zum Buddhismus, speziell dem Theravada-Buddhismus, aber irgendwie fragt nie einer danach. Da ich selbst seit über zwanzig Jahren Buddhist bin und gerne existenzielle Fragen in meinen Büchern aufwerfe, liegt es für mich nahe, diese Referenzen einzubauen.

Danke für die spannenden Antworten :-)



STILLE ZWISCHEN DEN STERNEN
Sciencefiction Roman
von Sven Haupt
366 Seiten
Print: ISBN 978-3-946348-29-0 * 14,90€
Ebook: ISBN 978-3-946348-30-6 * 4,99€

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